Blut

 

Die Gasthaustür öffnete sich. Magda, die Schankmaid, blickte auf. Der Mann, der eintrat, schien nicht hierher zu passen. Er war edel gekleidet. Eine dunkle Hose, ein Hemd aus blauem Samt, die braunen Haare hinter dem Kopf zusammengebunden. Ein Herr von so hohem Stand zu so später Stunde? Etwas war seltsam an dem Mann. Er hatte ein schönes Gesicht. Doch Magda konnte es nicht erkennen. Es war, als würde ihn das Licht meiden. Immer wenn sie glaubte, sie könne sein Gesicht erblicken, entzog es sich ihr wieder.

„Verzeihung“, sagte der Fremde. Seine Stimme klang hell, verführerisch. „Ich bin durstig und habe noch einen weiten Weg vor mir. Hätte Ihr wohl etwas zu trinken für mein Pferd und mich? Ich kann dafür zahlen.“

Magda brachte dem Fremden einen Krug Bier. Der Fremde leerte ihn in einem Zug und folgte Magda, die das Pferd des Fremden versorgen wollte, vor die Tür.

Als der Morgen anbrach, war Bernhardt, der Wirt des Gasthauses „Zum fahrenden Sänger“, wütend und besorgt. Magda war nicht zurückgekehrt, nachdem sie kurz nach Mitternacht mit dem Fremden das Gasthaus verließ. Am Mittag fand ein Bauer Magda am Rande seines Feldes. Ihre Haut war bleich, die Augen vor Schrecken geweitet. Ihren Hals zierten zwei kleine Wunden.

***

Pater Ignaz hatte eine lange Reise hinter sich, als er mit seinem Novizen in das Dorf ritt. Der Heilige Vater selbst hatte ihn mit dieser Aufgabe betraut. Ignaz hoffte, dass dies sein letzter derartiger Auftrag wäre. Er wurde allmählich zu alt, um sich mit Dämonen zu messen. Christian, Ignaz‘ Novize, schien ein guter Nachfolger zu werden. Er wusste viel von dem, was ein Exorzist für seine Aufgabe braucht. Von manchen Dingen verstand er sogar mehr als Ignaz.

Gräfin Margareta hatte die Kirche um Hilfe gebeten. Merkwürdige Todesfälle häuften sich in ihren Ländereien. Es begann vor 2 Monaten mit einer toten Schankmaid. Bauern folgten, ein Müller, ein Schmied und zuletzt ein Stallknecht der Gräfin selbst. Alle hatten eine Gemeinsamkeit. An ihrem Hals fand man zwei kleine Wunden. Wie Stiche. Oder wie ein Biss.

Pater Ignaz war ein kräftiger Mann. Trotz seine mittlerweile 60 Jahre konnte er es noch mit den meisten jüngeren Männern aufnehmen. Sein ganzes Leben dem Kampf gegen Dämone und die Kräfte des Bösen zu widmen erfordert nicht nur Disziplin im Geist. Christian war viel schlanker. Während Ignaz selbst wie ein Bär kämpfte, mit kräftigen Schlägen, doch nicht sehr beweglich, war Christian eher einem Tiger gleich. Gewandte Bewegungen gepaart mit Kraft. Und der List eines Fuchses. Christian würde in der Tat ein würdiger Nachfolger für Ignaz werden. Seit 8 langen Jahren bildete Ignaz den Jungen nun aus, seit 3 begleitete in sein Schützling auf Ignaz‘ gefährliche Reisen. Er war für ihn wie ein Sohn. Manchmal rebellierte Christian gegen die Regeln der Kirche. Aber er machte seine Sache gut. Würde er sich gegen das Priesteramt entscheiden, bekäme er Ignaz‘ Segen. Er liebte den Jungen zu sehr, um ihn gegen dessen Willen zu etwas zu zwingen.

Die beiden Kirchenmänner ritten auf das Anwesen der Gräfin. Die Menschen dort trugen Trauer. In ihren Gesichtern stand Entsetzen. Als Ignaz und sein Zögling sich dem Eingang näherten, sahen sie einen aufgebahrten Jungen. Vor der Bahre stand eine Frau in eleganten Kleidern. Sie konnte nicht älter als 24 sein.

„Verzeiht“, unterbrach Pater Ignaz die Stille nach einem Augenblick. „Ich bin Pater Ignaz, dies ist mein Novize Christian. Wir sind auf der Suche nach Gräfin Margareta.“

Die Frau an der Bahre schaute auf. Sie sah erst den Priester und dann Christian an. Auf ihm verweilte ihr Blick länger. „Dies ist mein Bruder, Hochwürden“, sagte sie voll Trauer. „Wir fanden ihn heute Morgen im Schlossgarten. Ich bin Margareta.“

Der Pater warf Christian einen Blick zu. „Kümmere Dich um unsere Pferde, mein Schüler.“ Christian verstand wortlos, was Pater Ignaz meinte. Während Pater Ignaz die Gräfin ins Schloss begleitete, brachte er die Pferde in den Stall, rieb sie ab, striegelte sie und gab ihnen Futter. Anschließend ging er wieder zu dem toten Jungen. Christian sah ihn sich genauer an. Wie erwartet fand er den Biss am Hals. Die Wundränder waren frisch. Christian legte dem Toten eine Hand auf den Hals. Der Körper war noch recht warm. Er war noch nicht lange tot. Wahrscheinlich starb er erst kurz vor dem Morgen. Er zog die Lippen des Jungen hoch. Die Zähne waren, wie sie sein sollten. Das war gut. Der Junge war tatsächlich tot.

Christian gesellte sich zu der Gräfin und seinem Meister. Ignaz aß gerade eine Kleinigkeit. Er bedeutete Christian, sich zu setzen und auch etwas zu sich zu nehmen. Christian tat, wie ihm geheißen, dankte kurz dem Herrn und bis in ein Stück frisches Brot.

„Der Vampir ist vermutlich noch in der Nähe“, bemerkte Christian zwischen zwei Bissen.

Die junge Gräfin riss die Augen auf. „Ein Vampir? Was meint ihr?“

„Wir hörten von den Wunden, die die Toten am Hals trugen“, erklärte Pater Ignaz. „Diese Bisse lassen nur einen Schluss zu. Der Mörder ist ein Vampir. In den Karpaten nennt man sie Strigoi, in anderen Teilen der Welt gibt es noch seltsamere Namen für sie. Sie leben ewig und ernähren sich von Blut. Doch man kann sie vernichten.“

„Aber woher wollt ihr wissen, dass er noch in der Nähe ist?“, er erkundigte sich Margareta.

Christian schluckt einen Bissen runter und antwortete: „Die Wunden sind frisch und der Körper ist recht warm. Euer Bruder ist noch nicht lange tot. Wahrscheinlich starb er kurz vor Morgengrauen. Vampire müssen sich vor der Sonne verbergen. Sie würde sie töten. Also muss er in der Nähe ein Versteck haben.
Ich schlage vor, Meister, wir wappnen uns und warte bis zur Nacht. Der Untote wird sein Versteck verlassen. So finden wir ihn am leichtesten.“

Ignaz war einverstanden. Christian und er hätten so die Gelegenheit, sich einen Eindruck von der Umgebung zu verschaffen. Außerdem könnten sie sich ausruhen und ihre Seelen reinigen. Ein Kampf gegen das Böse kann immer der letzte Kampf sein.

***

Die Nacht brach herein. Christian und Pater Ignaz beteten still in der Schlosskapelle. „Wie fühlst Du Dich?“, unterbrach Pater Ignaz plötzlich die Stille.

„Mir geht es gut“, antwortete der Novize etwas unsicher.

„Dich beschäftigt etwas.“

Christian senkte nachdenklich den Blick. „Ward ihr schon immer Priester?“

Pater Ignaz lachte. „Natürlich! Ich wurde als Priester geboren. Wie soll ich Deine Frage verstehen, mein Junge?“

Ignaz war Priester, doch er nahm dieses Amt nicht ernst genug, um den Dingen nicht einem gewissen Maß an Humor zu begegnen. Er lachte viel, hatte stets ein aufmunterndes Lächeln für seinen Novizen übrig. Auch jetzt. Christian lächelt verlegen. „Ich meine … Habt Ihr je eine Frau gehabt, Vater?“

Ignaz lächelte immer noch, doch Schmerz mischte sich in sein Gesicht. „Ja, ich liebte einst eine Frau. Ich wäre für sie in die Hölle gegangen. Wir wollten heiraten. Leider kam es nicht soweit. Sie starb. Man fand sie tot am Waldrand, ihre Kehle zerfetzt. Wir fanden das Wesen, das dafür verantwortlich war. Es war halb Mensch, halb Wolf. Damals entschied ich mich für dieses Leben. Das eines Priesters. Für den Kampf gegen die Mächte der Finsternis.“ Ignaz verstummte.

„Verzeiht, Vater. Ich wollte nicht in alten Wunden rühren.“ Christian blickte zu seinem Mentor auf. „Es ist nur …“

„Ich weiß“, unterbrach ihn der alte Priester. „Ich habe Dich beobachtet, Die junge Gräfin beschäftigt Dich.“

Mehr als ein „Ja“ brachte Christian nicht heraus. „Weißt Du, mein Junge, es ist nicht schlimm. Nicht jeder Mann kann Priester sein. Wenn wir hier fertig sind, werde ich mich in ein Kloster zurückziehen und alles niederschreiben, was ich in den vielen Jahren meines Kampfes über das Böse gelernt habe. Vielleicht solltest Du Dir eine Frau nehmen.“ Ignaz zwinkerte unmerklich mit dem Auge. „Du bist ein guter Junge. Und ich glaube, die Gräfin hat auch ein gewisses Interesse an Dir. Um die Finsternis zu bekämpfen, muss man kein Priester sein.

Verlegenheit ergriff Ignaz‘ Novizen, doch gleich darauf Erleichterung. Christian wollte Gott dienen. Doch die Regeln der Priesterschaft schienen ihm zu eng. Gerade wollte er seinem Lehrmeister danken, als die Männer Schreie hörten.

Sie nahmen ihre Waffen auf: Schwerter, Holzpflöcke, eine Armbrust. Ruhigen Schrittes verließen Sie die Kapelle. Sie hatte dies alles schon oft erlebt. Beide wussten, worauf es ankam. Als die Kapelle hinter ihnen lag, trennten sie sich und gingen auf verschiedenen Wegen auf den Ort zu von dem der Schrei gekommen war.

Ignaz erreichte den Platz zuerst. Ein totes Mädchen lag auf dem Boden des Stalles. Sie war nicht älter als 16. über dem Mädchen kauerte eine Gestalt in einem blauen Samthemd. Der Vampir bemerkte Ignaz‘ Anwesenheit und lies von seinem Opfer ab.

„Ich grüße Euch, Vater.“ Der Hohn in der Stimme des Vampirs war nicht zu überhören. „Ihr seid hier, mich zu töten, habe ich recht?“

Noch bevor der alte Priester etwas erwidern konnte, warf sich ihm der Untote entgegen. Ignaz konnte, überrascht von dem plötzlichen Angriff, gerade noch ausweichen. Doch der Vampir entriss ihm die Armbrust. Es lief also auf einen Kampf Mann gegen Mann hinaus.

Ignaz zog sein Schwert und hieb nach dem Vampir. Er traf, sein Gegner hatte nur ein höhnisches Lachen übrig. Er tat einen Schritt rückwärts. Die Klinge glitt aus seinem Körper und die Wunde verheilte sofort. Es würde ein Festmahl werden. Nicht nur das Mädchen, sondern auch das Blut eines heiligen Mannes. Der Vampir wollte sich gerade auf den alten Mann stürzen, als ihn wieder ein Schwert durchbohrte, diesmal von hinten. Hiermit hatte er nicht gerechnet.

Der Dämon drehte seinen Kopf und sah Christian, der ihm ein Kreuz entgegenhielt und etwas murmelte. „Glaubst Du, Dein albernes Kreuz könnte mich aufhalten, Du Narr?“ Der Vampir lachte. Doch er war auch wütend. Mit einem Ruck drehte er sich um, riss dem Novizen das Schwert aus der Hand. Zu schnell, als dass Christian die Bewegung sehen konnte, traf ihn die Faust des Vampirs.

Pater Ignaz sah Christian bewusstlos zu Boden gehen. Doch er stand noch. Der Kampf war nicht vorbei. Als der Vampir sich ihm wieder zuwandte, hämmerte der Priester ihm seine Faust ins Gesicht. Der Untote ging zu Boden, stand auf und fiel erneut unter einem hammergleichen Fausthieb. Der alte Mann war besser als er gedacht hatte.

Schnell wie ein Blitz sprang der Vampir auf und warf sich auf Ignaz. Der Priester ging zu Boden. Der Blut trinkende Unhold lächelte und senkte seinen Mund auf des Priesters Hals nieder. Seine Lippen öffneten sich, doch noch bevor er zubeißen konnte, spürte er einen Tritt im Gesicht.

Der Untote ging erneut zu Boden. Er blickte auf und sah Christian mit einem Pflock in der Hand über ihm stehen. Der Vampir trat nach Christian Beinen, schickte ihn zu Boden. Doch als er aufstand fand er sich plötzlich in der Umklammerung des alten aber bärenstarken Priesters wieder.

„Stich zu!“, rief Ignaz. Noch bevor er den Satz beendete, flog er rückwärts. Der Vampir schleuderte ihn einfach von sich. Christian konnte hören, wie das Genick seines Mentors brach. Doch dieser Augenblick der Ablenkung reichte aus. Getrieben von unbändigem Zorn rammte er dem Vampir den Holzpflock ins Herz. Der Untote blickte ungläubig nach unten. Dann fiel er vornüber. Blut strömte aus der Wunde, seine Haut vertrocknete in Sekundenschnelle.

Christian rannte zu Ignaz. Er beugte sich über ihn, wollte sich überzeugen, dass das Geräusch des brechenden Genicks ein Trug war. Doch sein alter Freund war tot. Christian sah in das Gesicht des Priesters. Was er dort fand, war Frieden. Er schloss ihm die Augen und murmelte: „Requiescat in pace, Vater.“

***

Gräfin Margareta fand den Novizen über die Leiche des Paters gebeugt. Sie rief nach Hilfe. Ignaz wurde in der Kapelle aufgebahrt, Christian brachte man in ein Gästezimmer.

Margareta fand den jungen Mann auf dem Bett sitzend. „Das Mädchen hat überlebt“, berichtete sie.

Christian blickte auf. Wenigstens war sein Meister nicht umsonst gestorben. Christian fing Margaretas Blick auf. Ignaz hatte recht gehabt. Sie schien sich für ihn zu interessieren. Als hätte sie seine Gedanken gelesen setzte sich Margareta neben ihn.

„Sein Tod schmerzt Dich sehr, habe ich recht?“

„Pater Ignaz war für mich wie ein Vater“, antwortete Christian.

Die Gräfin rückte näher an Christian heran. Sie sah ihm in die Augen, sagte aber nichts. Stattdessen küsste sie ihn. Christian hat keine Erfahrung in diesen Dingen, wusste nicht was er tun soll. Wieder schien Margareta seine Gedanken zu erraten. Sie zog ihm sein Hemd aus und legte ihren Finger auf seine Lippen, als er protestieren wollte. Sanft drückte sie ihn auf das Bett und entkleidete ihn gänzlich. Die Gräfin griff nach hinten und löste die Schleife auf ihrem Rücken. Ihr Kleid fiel zu Boden.

Christian ließ sich einfach fallen. All dies war neu für ihn, aber er genoß es. Er spürte die Lippen der Gräfin auf seinen Lippen. An seinem Hals. Die Lippen wanderten über seine Brust bis zu seinen Beinen. Margareta fuhr mit ihrer Zungenspitze über die Innenseite von Christians Schenkel. Dann spürte er einen stechenden Schmerz wie von zwei nadelspitzen Zähnen …