Feenland

 

Am Anbeginn der Zeiten, als alle Kontinente noch vereint waren, ward ein Volk geboren, an das sich die Menschen heute nur noch in Legenden erinnern. Manche erinnern sich in Ehrfurcht an das Schöne Volk, manche in Furcht. Einige nennen das Volk Elfen, andere Feen. Wieder andere, die, die sich vor dem Schönen Volk fürchten, nennen sie Alben.

Nie verstanden die Menschen das Volk der Feen. Sie waren wunderschön anzusehen doch so voller Macht, dass die Menschen die Feen mieden. Auch hielten sich die Feen von den Menschen fern, sind diese doch so voll Zorn und Gewalt in ihrem Wesen.

Die Feen lebten Jahrtausende im Einklang mit den Elementen. Manche von ihnen zog es zum Meer, andere waren mit dem Land verbunden. Wieder andere sahen auf zum Himmel. Die Feen waren gar kunstfertig in allem, was sie schufen. Sie bauten stolze Schiffe, die die wildeste See bezwangen. Ihr Anblick war der von Schwänen und Delfinen. Sie schufen Waffen so kunstfertig verziert und so voll Macht und Magie, dass keine Rüstung, die von Menschenhand gemacht, kein Schild, kein Schwert ihnen je zu widerstehen vermochte. Aus Zinn machten sie Schmuck der auch nach Tausenden von Jahren glänzte wie reinstes Silber, verziert mit Gemmen, die selbst in der Finsternis der Nacht leuchteten.

Es heißt, kein Mensch könne sich dem Gesang der Feen entziehen. Ein König der Menschen trotzte einst dem Gesang der Meerelfen, die von den Griechen Sirenen genannt wurden. Doch verfiel er beinahe dem Wahnsinn.

Feen und Menschen waren sich stets fremd. Und doch sollte einer Tochter des Landes und einem Sohn der Menschen ein gemeinsames Schicksal beschieden sein …

***

Claudius, Centurio in der römischen Legion, genoss die Sonne und die Ruhe am Rande des Hains. Seine Legion war in einer Gegend stationiert, die das Sommerland hieß. Claudius war erst seit einem Monat hier. Er hatte keine Ahnung, was es mit diesem Sommerland auf sich hatte. Aber es war ruhig hier. Keine aufständischen Barbaren, keine Kämpfe. Die letzten zwölf Jahre hatte Claudius im Krieg verbracht. Es gab nur wenige Gelegenheiten, Mutter und Vater zu besuchen. Seine kleine Schwester war inzwischen erwachsen und die Frau eines einflussreichen Händlers. Als sich Claudius der Legion anschloss, was sie gerade 10 Jahre. Seine Schwester war Mutter dreier Kinder, doch Claudius hatte noch nicht einmal die Zeit gehabt, an die Ehe zu denken. Es gab immer irgendwo Krieg. Er wusste gar nicht mehr, wie sich Frieden anfühlt.

„Es ist so ruhig hier.“ Claudius musste nicht aufblicken, um zu wissen, dass die Stimme Titus gehörte, seinem ältesten und treuesten Kameraden. Titus kam vor acht Jahren zur Legion. Aber er hatte länger überlebt als die meisten anderen Männer, mit denen Claudius gedient hatte, und war Claudius fähigster Mann.

„Ja“, antwortete Claudius, ohne den Blick zu heben. „Ruhig und friedlich. Nicht wie bei den Sarmaten.“

„Am Ende haben wir auch die Sarmaten besiegt.“ Titus setzte sich auf einen Stein. „Ich denke, wir haben uns ein bisschen Frieden verdient.“

„Frieden“, brummte Claudius. „Weißt Du überhaupt noch, was das ist, mein Freund? Wann immer wir in den letzten Jahren glaubten, ein wenig Frieden zu haben, wurden wir an irgendeine Grenze beordert, um einen Aufstand niederzuschlagen, einfallende Barbaren zurückzuwerfen oder neue Gebiete zu erobern. Ich bin müde, Titus. Ich habe das Kämpfen satt.“

„Ich weiß, was Du meinst. Aber Du hast nur noch drei Jahre vor Dir, Claudius“, meinte Titus. „Ich muss das Ganze noch sieben Jahre machen, bevor ich mich zur Ruhe setzen kann.“

Claudius lachte leise und humorlos. „Du hast keine Ahnung, wie lang drei Jahre sein können, Kleiner. In drei Jahren kann viel passieren.“

Wie um seine Worte zu bestätigen, erklangen plötzlich Schreie. Claudius und Titus sprangen auf. Die Schreie kamen aus dem Hain. Claudius rannte los. „Warte“, rief ihm sein Kamerad hinterher. Zu spät. Der Centurio war schon im Hain verschwunden. Titus lief zähneknirschend hinterher. Nach nicht ganz einhundert Schritten blieb er stehen. Titus sah eine wunderschöne aber verängstigte Frau. Er sah fünf Legionäre tot am Boden liegen. Und er sah Claudius, von dessen Schwert noch Blut tropfte, fallen.

Titus rannte auf seinen alten Freund zu und fing ihn auf. Während er Claudius die Rüstung abnahm, um seine Wunden zu versorgen, sah er auf die Frau. Ihre Haare waren lang und blond, fast weiß. In ihrem ebenmäßigen Gesicht, dessen Farbe Alabaster glich, leuchteten zwei blaue Augen. Ihre Lippen waren rot, aber es war ein natürliches Rot. Sie waren nicht angemalt, wie es die Frauen in Rom taten. Und sie hatte seltsam spitze Ohren.

Titus besah sich die Wunde an Claudius Schulter. Der Centurio verlor viel Blut. Mit zitternden Händen reichte die Frau ihm einen Ballen Moos. „Legt dies auf die Wunde“, sagte sie leise. „Es wird die Blutung verlangsamen.“

Titus tat, wie ihm geheißen. Er hatte schon gehört, dass viele Frauen in Britannien in den Künsten des Heilens bewandert waren. Die Blutung lies tatsächlich etwas nach. Er sah die Frau an, nickte dankbar und fragte: „Was ist geschehen?“

„Diese Männer …“ Sie zittert am ganzen Körper. „Sie griffen mich an, sie wollten … Euer Freund hat mich gerettet.“

Titus warf einen Blick auf die Toten. Er erkannte sie. Sie waren Raufbolde. Ohne Anstand, ohne Ehre. Sie nahmen sich, was sie wollten. Claudius musste zurück ins Lager zu einem Wundarzt. Titus wollte ihn gerade aufheben, als zwei weitere bewaffnete Gestalten auftauchten. Die zwei Männer sahen sich um. Dann sprachen sie mit der Frau. Ihre Sprache war fremd aber angenehm zu hören.

Die Krieger hörten einen Augenblick zu, dann nickte sie. Einer von ihnen hob Claudius auf, als würde er nichts wiegen und ging.

„Halt!“, rief Titus ihm hinterher. Er zog sein Schwert, würde nicht zulassen, dass man seinen Vorgesetzten und besten Freund entführte. Doch die Frau legte sanft ihre Hand auf seinen Arm. „Euer Freund rettete mich. Dafür wollen wir nun ihn retten. Habt keine Angst, Freund. Er ist in Sicherheit.“

***

Claudius erwachte und sah in ein Paar tiefblauer Augen. Er blinzelte kurz verwirrt, dann erinnerte er sich. Fünf Legionäre hatten versucht, eine Frau zu vergewaltigen. Diese Frau. Er war dazwischen gegangen und die Fünf griffen ihn an. Claudius erinnerte sich, die Männer getötet zu haben. Er erinnerte sich aber auch an ein Schwert, dass seine Schulter durchbohrt hatte.

„Wer seid Ihr?“, fragte er die Frau.

Sie lächelte. „Mein Name ist Khalen“, gab sie zur Antwort. „Ich bin die Tochter König Thuans.“

„König Thuan?“ Claudius hatte diesen Namen nie gehört.

„Mein Vater“, erklärte Khalen, „ist kein König der Menschen. Wir gehören zum Alten Volk. Ihr Menschen nennt uns auch das Schöne Volk oder Feen.“

„Ich bin Centurio Claudius Septimus von der vierten Legion. Was ist dies für ein Ort?“

„Wir wissen, wer Ihr seid, Centurio“, antwortete die Feenprinzessin. „Wir beobachten Euch schon seit einiger Zeit. Ihr seid in den Hallen meines Vaters. Ihr seid hier in Sicherheit.“

Claudius versuchte, sich aufzusetzen. Doch seine Schulter schmerzte zu sehr. Er hatte sich selten so schwach gefühlt. „Bleibt liegen, Claudius Septimus“, befahl Khalen freundlich aber bestimmt. „Ihr seid noch zu schwach. Ruht Euch aus. Ich lasse Euch etwas zu essen bringen.“

***

Die Prinzessin verlies das Gemach, in dem man Claudius untergebracht hatte. Nachdem sie eine Zofe beauftragt hatte, Claudius etwas Suppe zu bringen, suchte sie ihre eigenen Gemächer auf.

Khalen war verärgert. Sie war verärgert über sich selbst. Sie hätte eigentlich auf sich selbst achten können. Doch sie war unbewaffnet in die Welt der Menschen gegangen. Seit Jahrhunderten war niemand aus dem Feenvolk mehr ohne Waffen auf die andere Seite des Schleiers gegangen. Und sie, die es eigentlich besser wissen müsste, beginn diese Dummheit. Alles nur, um dieses einen Menschen zu sehen.

Sie wusste, wer Claudius Septimus war. Er war ihr aufgefallen, als er das erste Mal durch den Hain lief. Ihn umgab etwas Besonderes. Es war ein Hauch von Macht, ein Licht, das aus seinem Inneren selbst kam.. Seine Männer folgten ihm bereitwillig. Er gab nie Befehle. Die Männer schienen auf eine Bitte hin bereit zu sein, für ihn selbst in die Unterwelt zu gehen. Der Centurio schien ein geborener Anführer zu sein.

Khalen bewunderte diesen Menschen. Sie wusste nicht genau, warum. Auch darüber ärgerte sie sich. Ihr Vater war nicht erfreut über ihr Interesse an diesem Menschen. Bisher akzeptierte er widerwillig, was sie tat. Doch jetzt, da Khalen sich so in Gefahr gebracht hatte, würde er es wahrscheinlich verbieten.

Als hätte er die Gedanken seiner Tochter erraten, betrat Thuan Khalens Gemach.

„Was hast Du Dir gedacht, Tochter?“, fragte der König wütend.

„Vater, ich …“

Der König unterbrach Khalen: „Schweig! Du läufst diesem Menschen nach, bringst Dein Leben in Gefahr, indem Du allein durch den Schleier gehst und am Ende bringst Du den Menschen in unser Reich! Was hast Du Dir gedacht?“

„Er hat mich gerettet, Vater!“

„Niemand hätte Dich zu retten brauchen, wenn Du auf mich gehört hättest!“ König Thuan war wütend. Seine eigene Tochter gefährdete alles, wofür er lebte. Und doch war er erleichtert, sie wohlauf zu sehen. Er fragte sich, was an diesem Menschen ist, dass Khalen sich so für ihn interessierte. Und er fragte seine Tochter.

Khalen erzählte ihrem Vater alles. Wie sie Claudius beobachtet hatte. Sie hatte sich oft in Begleitung einiger Krieger in die Welt der Menschen begeben, sich verborgen und die Menschen beobachtet. Khalen erzählte ihrem Vater, warum ihr Claudius aufgefallen war. Die Macht, die er ausstrahlte. Wie die Männer auf ihn reagierten. Der König wurde neugierig. Er wollte sich diesen Menschen ansehen.

***

Claudius hatte gegessen, als hätte er drei Tage nichts gegessen. Tatsächlich hatte er drei Tage geschlafen. Die Tür wurde geöffnet und Khalen trat ein. Ein älterer Mann folgte ihr. Claudius hätte ihn dem Äußeren nach für nicht älter als 30 Jahre gehalten. Jünger noch als er selbst. Aber etwas umgab diesen Mann, dass den Eindruck erweckte, er wäre älter als Rom selbst.

Als der Mann an sein Bett trat, richtete sich Claudius so weit auf, wie es ihm möglich war. „Ich grüße Euch, König Thuan“, grüßte er. Der König sah ihn erstaunt an. Dieser Mensch hatte einen scharfen Verstand.

„Ich grüße Euch, Claudius Septimus“, erwiderte Thuan. „Und ich danke Euch für die Rettung meiner Tochter.“

Claudius lächelte schwach. „Ich tat nur, was ein römischer Offizier tun sollte, wenn fünf Männer sich an einer Frau vergehen. Es ist bedauerlich, dass ich die Männer töten musste. Ich kann nicht verstehen, warum sie mich angriffen.“

Khalen blickte zu Boden. Der König lächelte traurig. „Auch ich bedaure den Tod Eurer Männer. Manchmal ertragen Menschen unsere Gegenwart nicht. Sie verfallen dem Wahnsinn.“ Wahnsinn. Das war es, was Claudius in den Augen seiner Männer gesehen hatte. Thuan trat an das Bett und sah sich die Wunde in Claudius‘ Schulter an. Er nickte. „In wenigen Tage könnt Ihr wieder aufstehen, Centurio.“

***

Zwei Tage später zeigte Khalen Claudius das Reich ihres Vaters. Claudius fühlte sich besser. Die Schulter schmerzte noch, aber er konnte sie wieder bewegen. Er könnte zurückkehren, dachte er. Doch als er es Khalen gegenüber zur Sprache brachte, schwieg sie.

Khalen beobachtete Claudius, als sie ihm ihre Heimat zeigte. Er zeigte nicht nur Interesse für die Waffen, die in den Schmieden hergestellt wurde. Er interessierte sich vor allem für die Felder, für die Geräte, mit denen sie bestellt werden.

„Ich hätte gedacht, dass ein Krieger sich mehr für Waffen und Rüstungen interessiert, als für Pflüge“, gestand sie Claudius.

Claudius lachte kurz auf. „Ihr habt eine seltsame Vorstellung von den Menschen, Prinzessin“, erwiderte er.

„Wir beobachten die Menschen seit hunderten von Jahren. Noch nie hat sich ein Krieger um den Ackerbau gekümmert. Aber Du scheinst anders zu sein.“

„Meine Eltern sind Bauern“, erklärte Claudius lächelnd. „Wenn mein Dienst in drei Jahren vorüber ist, habe ich vor, mich niederzulassen und Felder zu bestellen. Wenn ich hier etwas lernen kann, ist mir dies vielleicht später von Nutzen.“

„Ihr seid ein Krieger, Claudius.“ Die Fee sah ihn ernst an. „Ihr mögt Euch nach einem einfachen Leben sehnen, aber habe ein anderes, ein größeres Schicksal für Euch gesehen.“

„Ein größeres Schicksal?“

„Ja“, sagte Khalen gedankenversunken. „Ihr seid ein Anführer. Ihr werdet Frieden finden. Aber Ihr müsst ihn schützen. Auch mit dem Schwert.“ Die Prinzessin sah blieb stehen und sah Claudius tief in die Augen. „Und Ihr werdet ihn beschützen. Den Frieden ebenso wie das Volk, dass nicht das Eure ist. Ebenso Eure Nachfahren.“

Claudius wusste nicht, was er erwidern sollte. Was meinte sie? Wer ist das Volk, das „nicht das Seine“ ist? Die Feen? Die Britannier? Er wollte fragen, nickte aber nur. Statt dessen fragte er Khalen über ihr Volk aus. Woher es käme. Wie es möglich sei, dass hier alles so prächtig gedieh. Warum die Feen so viele Waffen schmiedeten, wo doch alles so friedlich schien.

„Es heißt, unser Volk wurde hier geboren“, erklärt Khalen. „Es gibt uns bereits viele Tausend Jahre. Selbst die Weisesten unter uns erinnern sich kaum an den Beginn. Wir Feen sind unsterblich. Ja, man kann uns töten. Aber wir sterben nicht einfach. Man sagt, selbst die, die getötet werden, kehren eines Tages zurück und werden neu geboren.

Wir leben seit Anbeginn in Eintracht mit dem Land. Wir hegen es und beschützen es. Dafür gibt es uns, was wir brauchen. Ihr Menschen nehmt mehr, als Ihr gebt. Viele von uns verachten Euch dafür. Aber ich glaube, auch die Menschen werden eines Tages lernen, mit dem Land in Frieden und Gleichgewicht zu leben. Merkt Euch meine Worte, Claudius. Ihr, die Menschen, seid nichts ohne das Land.

Doch es gibt auch unter uns Neid, Missgunst und Hass. Manche sagen, es wäre Euer Einfluss, Euer Hass und Eure Gewalt, die manche von uns verdorben haben. Aber es gab schon Stolz unter einigen von uns, bevor Ihr Menschen das Licht der Welt erblicktet. Es gibt Völker unter den Feen, die sich einst der Dunkelheit zuwandten. Es gibt Legenden von einer schrecklichen dunklen Macht, die schon am Anfang Gier und Machthunger in einigen Herzen entfachte. Andere wurden zornig, weil diese Dunkelheit ihnen großes Leid antat. Ja, es gibt auch unter uns Krieg, Mord und Tod.“

Khalen verstummte. Claudius bemerkte ihre plötzliche Traurigkeit und legte zögernd den Arm um die Prinzessin. Er wollte ihr Trost spenden. Khalen, obwohl sie seine Berührung angenehm empfand, verstand seinen Impuls falsch und wich erschrocken von seiner Seite.

„Verzeiht, Hoheit“, entschuldigte sich der Legionär. „Verzeiht, wenn ich Euch beleidigte. Es lag nicht in meiner Absicht.“ Claudius tat einen Schritt zurück.

„Es ist bei meinem Volk nicht üblich, eine Frau ungefragt zu berühren“, klärte Khalen ihn auf. Ihre Stimme klang höflich aber kühl.

„Ich bitte nochmals um Verzeihung“, fuhr Claudius fort. „Ich weiß nichts über die Bräuche Eures Volkes. Ich sah Trauer in Euren Augen. Ich wollte Euch nur Trost spenden, nicht zudringlich sein.“

„Wir sollten in den Palast zurückkehren“, sagte Khalen. „Es wird bald dunkel.“

***

Claudius Septimus stand vor dem König. Dieser blickte ihn ernst an, als er die Bitte des Legionärs hörte, in seine Welt zurückkehren zu dürfen.

„Eure Wunde ist noch nicht ganz verheilt“, erklärte der König, als wäre dies Grund genug, Claudius die Heimkehr zu verweigern.

„Das stimmt“, sagte Claudius, „doch meine Männer werden schon nach mir suchen. Unsere Heiler können die Wunde weiterpflegen. Ich fürchte, wenn ich nicht zurückkehre, könnten meine Männer mit Waffen vor Euren Toren stehen.“

„Ihr werdet in wenigen Tagen vollständig genesen sein. Darauf habt Ihr mein Wort, Centurio.“ Claudius glaubte dem König, doch dieser fuhr fort: „Meine Tochter hat vielleicht größeres Unheil über Euch gebracht, als sie beabsichtigte. Es ist Gesetz, dass kein Sterblicher, der auf diese Seite des Schleiers, der unserer Welten trennt, gelangt zurückkehren darf. Wir wissen nicht viel über die Menschen. Doch es gilt zu vermeiden, dass Ihr versucht unser Reich zu erobern. Um euretwillen.“

Claudius sah den Ernst in den Augen des Königs. „Ihr habt mein Wort, dass niemand von Eurem Reich erfährt. Das Wort eines römischen Offiziers. Ich habe mein Wort nie gebrochen.“

„Ich zweifle nicht an Euch und Eurem Wort, Claudius Septimus“, sprach der König und sah seinem Gegenüber tief in die Augen. „Ihr hingegen habt mein Wort, dass wir diese Angelegenheit zur rechten Zeit beraten werden. Solange ruht Euch aus und pflegt die Wunde an Eurer Schulter.“

Damit war die Angelegenheit beendet. Der König ließ keinen Zweifel daran, aber auch nicht daran, dass Claudius‘ Rückkehr später erneut besprochen würde. Der Legionär salutierte vor dem König und ging.

***

„Was empfindest Du für diesen Menschen?“

Khalen war sich ihrer Gefühle selbst nicht ganz klar. „Er ist ein guter Mann. Vor ihm liegt ein großes Schicksal. Ich sah es in einem Traum.“

„Ich will nicht wissen, was er für ein Mann ist oder welches Schicksal ihn erwartet.“ Die Stimme des Königs war streng. Doch er sah etwas in den Augen seiner geliebten Tochter, das vorher nie da gewesen war. Er lächelte und fuhr sanft fort: „Ich will wissen, was Du FÜHLST.“

Khalen sah ihren Vater an, dann senkte sie den Blick zum Boden. Als sie nichts sagte, gab der König die Antwort für sie: „Du liebst ihn.“ Es waren nur drei Worte. Aber sie machten Khalen klar, was sie immer wieder in die Welt der Menschen gebracht hatte. „Ja“, sagte sie leise.

Thuan lachte kurz und leise. Ein wenig voll Schmerz, ein wenig voll Glück. Seine Tochter würde den Menschen überleben. Er war sterblich, sie nicht. Und doch hatte er in Claudius Herz dasselbe gesehen, was seine Tochter fühlte. Claudius wusste es nur noch nicht. „Er liebt Dich auch, geliebte Tochter.“

***

Eine Woche verging, als Khalen in das Gemach ihres Gastes stürmte. „Ihr müsst gehen, Claudius!“

Claudius war verwirrt. Seine Schulter war geheilt und er war froh, dass der König seine Meinung geändert hatte und ihn gehen ließ. Aber etwas in Khalens Stimme verriet ihm, dass etwas nicht stimmte. König Thuan trat ein, bevor Claudius die Prinzessin fragen konnte. Zwei Männer folgten dem König und brachten Claudius seine Rüstung und sein Schwert.

„Ihr seid hier nicht sicher, Claudius“, sagte der König. „Ein Heer nähert sich der Stadt. Kehrt zurück in Eure Heimat. Ich vertraue auf Euer Wort.“

Claudius sah den König prüfend an. Ja, der König vertraute ihm. Claudius würde dieses Vertrauen nicht enttäuschen. Aber er wollte die Gastfreundschaft des Königs und seiner Tochter vergelten. Und er wollte Khalen beschützen.

„Nein“, widersprach Claudius dem König. „Ihr habt mich in Eurem Haus aufgenommen. Ihr habt mein Leben gerettet. Ich werde an Eurer Seite stehen.“

Der Feenkönig war erstaunt. Was galt diesem Menschen das Volk der Feen? Er liebte Khalen. Aber das schien nicht der Grund dafür zu sein, weshalb Claudius für ihn kämpfen wollte.

„Eure Rüstung und Euer Schwert können unseren Waffen nicht standhalten“, versuchte der König, den Menschen zu überzeugen. „Ihr würdet sterben.“

„Jeder Mensch stirbt irgendwann“, erinnerte Claudius Khalens Vater. „Es kommt nur darauf, wie und wofür.“

König Thuan sah den Menschen prüfend an. „Einverstanden“, sagte er nach einem Augenblick. „Wir haben keine Rüstung, die Euch passt. Doch ich will Euch ein Schwert geben, das Eurer würdig ist. Legt Eure Rüstung an, dann kommt zum Stadttor.“

***

Claudius tat, wie ihm geheißen. Als er am Tor ankam, erwartete ihn der König schon. Khalen stand neben ihrem Vater. Sie trug eine Rüstung, die im Sonnenlicht gleißte. In der Rüstung, mit dem Schwert an ihrer Seite sah sie aus wie Bellona, die Kriegsgöttin persönlich. Claudius war überrascht, bewunderte die Königstochter aber gleichzeitig.

„Dieses Schwert schmiedete einst mein Vater“, unterbrach Thuan seine Gedanken. Er gab Claudius ein Schwert, dessen Klinge seltsame Zeichen schmückten. Das Schwert fühlte sich leichter an, als es war. Claudius spürte Wärme in sich aufsteigen, als er das Schwert berührte. „Ich schenke Euch dieses Schwert, Claudius. Als Dank für die Rettung meiner Tochter. Und als Zeichen des Bundes, den wir hier und heute geschlossen haben.“

Claudius war sprachlos. Er hob grüßend das Schwert. „Ich werde bis zum Ende an Eurer Seite stehen, mein König.“

Claudius stellt sich zur Linken des Königs auf, als eine Gruppe Krieger auf sie zukam. Er zählte zwanzig Männer mit Schwertern. Der Anführer trug außerdem einen Bogen.

„Thoras!“, rief der König. Die Krieger blieben stehen.

„Ich grüße Dich, Bruder“, rief ihr Anführer zurück. „Ich will nicht unnötig Dein Blut und das Deiner Gefolgsleute vergießen. Ich gebe Dir die Gelegenheit, Dich zu ergeben.“

Claudius sah zum König. „Mein Bruder Thoras erhebt schon seit langer Zeit Anspruch auf den Thron. Er ist der Ältere. Er meint, deshalb stehe ihm die Macht zu. Aber er ist kein guter Mann. Kein guter König.“

„Ich werde mich nicht ergeben“, antwortete Thuan seinem Bruder. Du wirst den Thron dieses Reiches nicht besteigen.“

„Dann wirst Du sterben“, teilte Thoras seinem Bruder mit, hob seinen Bogen und schoss.

Claudius warf sich vor den König. Der Pfeil traf ihn in die Brust, doch Claudius stand wieder auf. Er hob sein Schwert und ging auf die Feinde zu. Die Krieger hinter ihm murmelten. Claudius sah sich nicht um. Er wusste nicht, dass Khalen ihm folgte. Die Feenkrieger vor ihm lachten. Als Claudius sie fast erreicht hatte, schoss Thoras erneut, traf Claudius ein zweites Mal. Doch das hielt Claudius nicht auf. Jetzt rannte er auf seine Gegner zu.

Claudius rief Mars an und schlug mit dem Schwert zu. Zwei Gegner fielen sofort. Ein Dritter konnte einen Hieb parieren um unter dem zweiten zu fallen Claudius Schwert schnitte durch seine Gegner wie eine Sense durch das Korn. 19 Krieger fielen.

Khalen war stehen geblieben. Bestürzt und verwundert beobachtete sie das Geschehen. Sie sah den Zorn des menschlichen Kriegers, doch etwas Großes, etwas Leuchtendes lag darin. Für einen kurzen Augenblick sah sie den Glanz eines Drachen, der Claudius rot leuchtend umgab.

Thoras, der Anführer hielt sich zurück. Schließlich sah er, dass seine Pfeile den Menschen am Ende doch schwächten. Höhnisch lachend zog er sein Schwert und stürzte sich auf Claudius. Und er lief direkt in Claudius‘ Schwert.

Thoras riss die Augen auf. Er sah auf das Schwert hinab, das in seiner Brust steckte. Er sah das Schwert seines Vaters. Dann fiel er.

Doch er fiel nicht allein. Claudius drehte sich um und hob ein letztes Mal grüßend das Schwert in Richtung des Königs. Khalen stürzte zu ihm, fing ihn auf, als er zu Boden ging. „Nein!“, schrie sie. „Nein, bleib bei mir!“ Der Legionär sah noch einmal in ihre blauen Augen. Er bedauerte nichts, außer dass er erst jetzt bemerkte, dass er die Feenprinzessin liebt.

Claudius sank in Khalens Arme. Sein Augen brachen. Tränen rannen über ihre Wangen. Zum ersten Mal in ihrem Leben weinte Khalen. Sie blickte zum Himmel, schrie ihre Trauer heraus. Doch ihr Geliebter erwachte nicht. Verzweifelt griff sie nach ihrem Dolch und setzte sein Spitze an ihre Hand.

***

Man sagt, Feenblut hätte heilende Kräfte. Es heißt auch, in wahrer Liebe gegeben, können das Blut der Feen einen Menschen aus dem Reich der Toten zurückholen.

Khalen hatte eines der heiligsten Gesetze gebrochen, als sie Claudius‘ Lippen mit ihrem Blut benetzte. Sie wusste, dass die nicht ungesühnt bleiben konnte. Der König steht nicht über dem Gesetz. Thuan hatte keine Wahl, als seine geliebte Tochter fortzuschicken.

Khalen hatte bereitwillig ihre Unsterblichkeit aufgegeben. Sie tat es aus Liebe. Claudius kehrte zurück zu den Menschen. Doch er kam nicht allein. Seine geliebte Khalen ging mit ihm.

Als seine Dienstzeit vorüber war, blieb Claudius in Britannien. Er kaufte ein Stück Land, bestellte die Felder und wann immer seinem Frieden und dem der Menschen um ihn herum Unheil drohte, stand er in erster Linie. Das Schwert, das ihm der Feenkönig zum Geschenk gemacht hatte, war stets in der vordersten Reihe zu sehen. Es geht die Sage, dass keine Rüstung ihm standhielt, dass es sogar Stein zu schneiden in der Lage war. Und nur ein Mensch, der das Blut des Kriegers und der Fee in sich trägt, so berichtet die Legende, könne das Schwert führen.

Khalen und Claudius starben, wie es alle Menschen irgendwann tun. Doch ihr Blut lebte fort in Königen und in Heilkundigen. Es lebt noch heute fort auf der Insel der Apfelbäume. Und Khalen, so heißt es, erscheint den Menschen manchmal im Traum, wenn das Land Hilfe braucht.