Freunde

 

Es war Mittag. Die Sonne schien unbarmherzig, wie sie es schon seit 6 Wochen tat. 38 Grad Außentemperatur. Gefühlt waren es 45 Grad. Mindestens. Ein Hauch von Wind wehte über die trockene Erde mit dem Versprechen von Abkühlung. Ein Versprechen, das er nicht zu halten gedachte. Der Wind ist solch ein Heuchler.

Es war Zeit, der Mittagshitze zu entfliehen. Außerdem hatte ich Hunger. Ich stieg aus dem Auto und ging auf das einzige Lokal weit und breit zu. Es ist eigentlich eine Pension. Der Gastraum bietet aber auch für diejenigen Platz, die nur ihren Hunger oder Durst stillen wollen. Und es war gleichzeitig mein Ziel.

Ich hatte Louise eine Weile nicht mehr gesehen. Ich kannte sie, seit meiner Kindheit. Als ich neun war, verließ meine Mom meinen Dad und zog mit mir nach Los Angeles. Louise ging in dieselbe Klasse wie ich. Als ich neu in der Klasse war, wurde Lou von allen gehänselt. Vor allem von den Jungs. Ich war damit nicht einverstanden und stellte mich zwischen sie und die anderen. Meine Mom war nicht damit einverstanden, dass ich mich prügelte. Als sie es Dad erzählte, nahm er es einfach hin. Später nahm er mich zur Seite und sagte, ich hätte richtig gehandelt. Die Stärkeren sollten die Schwächeren beschützen, nicht auf ihnen herumhacken. Nach drei oder vier Schulhofrangeleien ließen die anderen Jungs Louise in Ruhe. Louise nahm seitdem aber immer einen besonderen Platz in meinem Herzen ein. Wir verbrachten viel Zeit miteinander, wurden später sogar Ballkönigin und –König auf dem Abschluss ball unserer Highschool. Nein, ich war nie in sie verliebt. Aber dicht dran. Vielleicht war ich sogar ihretwegen bei den Marines gewesen.

Lou war aus der Stadt rausgezogen, als sie ihr Kind bekommen hatte. Das war ungefähr ein Jahr her. Wir hatten hin und wieder telefoniert, für Besuche war aber nicht viel Zeit. Das Kind und die Pension hielten Louise auf Trab, mein Job lässt mich auch nicht viel rauskommen. Mit rauskommen meine ich nicht, mal ins Kino zu gehen oder mit Freunden ein Bier zu trinken. Ich meine richtig rauskommen. Die Stadt verlassen und weit weg vom Alltag die Beine hochlegen.

Ich öffnete leise die Tür zum Gastraum. Louise stand mit dem Rücken zu mir und diskutierte mit einer Angestellten. Die Kleine hatte mich bemerkt, aber bevor sie reagieren konnte, legte ich den Finger auf den Mund und zwinkerte ihr zu. Sie verstand.

„Guten Tag“, sagte ich. „Smith mein Name, vom Finanzamt.“ Louise drehte sich um und sah mir erschrocken in die Augen. Nach etwa 2 Sekunden erkannte sie mich endlich, stemmte ihre Hände in die Hüfte und deutete lächelnd eine Ohrfeige an.

„Nett, dass Du auch mal den Weg hierher findest“, blaffte sie. Aber sie lächelte immer noch.

„Ich finde es auch schön, Dich zu sehen, Lou. Ich nehme an, Dein Auto ist immer noch in der Werkstatt?“ Ich hatte ihren Wagen natürlich vor der Tür stehen sehen. Aber sie hätte schließlich genauso gut mich besuchen können.

Lou sah mich schief an. Aber letztlich wollte sie genauso wenig darüber diskutieren, warum wir uns seit 4 Monaten nicht ein Mal gesehen hatten, wie ich. Sie lachte und nahm mich in den Arm.

***

„Wie läuft das Geschäft?“, fragt ich Louise, als sie mir beim Mittagessen gegenübersaß. Ihr Chili war immer noch das beste Chili, das ich kannte. Wäre sie in der Stadt geblieben und hätte ein kleines Diner aufgemacht, wären vermutlich alle Cops in der Gegend bei ihr essen gegangen. Aber Lou hatte schon lange von einer Pension ein paar Meilen außerhalb des Betondschungels geträumt.

„Wir kommen zurecht“, antwortete Lou. „Allerdings lief es auch schon besser.“ Der Gastraum war tatsächlich leer. Zwar hingen nur 2 der 10 Zimmerschlüssel an der Rezeption, als ich ankam, aber die Pensionsgäste waren um diese Zeit wohl unterwegs. Mit Mittagsgästen brauchte man während der Woche wahrscheinlich auch nicht in großem Umfang zu rechnen. Trotzdem entging mir eine gewisse Besorgnis in Lous Gesicht nicht.

Louise hatte wohl meinen etwas skeptischen Blick bezüglich ihrer Antwort bemerkt. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber gleich wieder. Die Tür zum Gastraum war geöffnet worden. Da Lou ziemlich entgeistert blickte, drehte ich mich auch zur Tür. Eine Frau in Uniform trat ein.

„Louise Ashton?“, fragte sie. Lou nickte. „Können wir unter vier Augen reden?“, war die die nächste Frage an Lou. Ich sah Lou an. Angst lag in ihren Augen.

„Bitte, können wir hier reden? Al ist ein Freund.“ Die Angst in Lous Augen mischte sich mit Verzweiflung. Ich wollte fragen, in was sie reingerutscht ist. Aber das würde ich ohnehin gleich erfahren.

„Alphonse Levine“, stellte ich mich vor. Die Augen des Deputies weiteten sich. „Ja, ich bin Sheriff Levines Sohn“, fügte ich deshalb hinzu, bevor ich mich einer Fragestunde zu diesem Thema stellen musste. Meinen Dad habe ich noch länger nicht gesehen als Louise. Er trug es mir immer noch nach, dass ich vor drei Jahren nicht seine Nachfolge als Sheriff antrat. Meinte, es müsse ein Levine Sheriff in Blackstone sein. Aber ich hatte andere Pläne.

„Sally Owens.“ Der Deputy reichte mir die Hand. „Ms. Ashton“, fuhr sie fort, „kennen Sie einen Nick Taylor?“

Lou wurde aschfahl. Nick Taylor war ihr Freund, ihr Geschäftspartner und der Vater ihrer Tochter. Etwas stimmte nicht. Lou streckte unsicher die Hand aus. Ich griff danach. „Was ist mit Nick?“, half ich Louise aus.

Deputy Owens blickte zu Louise. „Mr. Taylor wurde überfallen, Ma’am“, antwortete sie. „Er wurde ziemlich über zusammengeschlagen.“

***

Auf dem Weg ins Krankenhaus fragte ich Louise aus. Ihr besorgter Blick, als ich nach dem Geschäft fragte, der Überfall auf Nick – etwas war oberfaul. Lou wollte erst nicht mit der Sprache rausrücken, aber ich ließ ihr keine Wahl.

Vor etwa 6 Wochen kam jemand und unterbreitet Lou und Nick ein Angebot für ihre Pension und das Grundstück. Sie lehnten ab, bekamen aber immer wieder Besuch. Zuerst wurde das Angebot nachgebessert, dann machte man den beiden klar, dass man sehr großen Wert auf das Grundstück legte.

Nick war bei Bewusstsein. Lou stürzte auf sein Bett zu und fiel ihm weinend in die Arme. Nick stöhnte kurz auf, dann sah er mich. Er schien nicht zu wissen, ob er sich über meine Anwesenheit freuen sollte oder nicht. Nick schien das nie zu wissen. Aber er hob grüßend den Arm. Zumindest soweit, wie Louise es zuließ.

Ich nickte Nick zu. Dann warf ich einen Blick auf sein Krankenblatt. Ich bin kein Arzt, aber im Marine Corps bekommt man ein bisschen was mit. Kieferfraktur, geprellte Rippen, zwei ausgeschlagene Zähne. Keine inneren Verletzungen. Von Sally Owens wusste ich, dass Nick nicht beraubt worden war. Offenbar wollte jemand eine Nachricht hinterlassen. Ich hatte das Gefühl, der Überfall hing mit dem Angebot für die Pension zusammen.

„Lou?“ Louise drehte sich zu mir um. „Könntest Du einen Augenblick draußen warten? Ich möchte kurz mit Nick reden.“ Louise zögerte, weshalb ich nachdrücklich hinzufügte: „Unter vier Augen.“

„Was ist los?“, fragte ich, nachdem Lou verschwunden war. „Ich weiß von den Angeboten für Euer Grundstück. Aber was ist daran so wertvoll, dass Dich jemand dafür zusammenschlägt?“

Nick schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung“, sagte er. „Ich weiß nur, dass jemand daran interessiert ist. Keine Ahnung, warum.“

„Hast Du die Typen gesehen, die Dich angegriffen haben?“

„Sahen aus wie Biker“, meinte Nick. „Schwarze Lederklamotten, schwere Maschinen. Keine Ahnung, zu wem die gehören. Hatten nichts auf ihren Jacken drauf.“

„Hör zu“, sagte ich. „Ich kann es nicht leiden, wenn sich jemand an Leuten vergreift, die mir nahe stehen. Ich kümmere mich darum.“

Nick wollte etwas erwidern. Ich wollte es nicht hören und ging. Louise wartete vor dem Zimmer. Ihre Augen waren gerötet. Ich lächelte kurz und ging weiter.

***

Als ich zur Pension zurückkam, standen dort fünf Harleys. Schöne Öfen. Aber nicht von der Sorte, die ich von Pensionsgästen erwartet hätte. Andererseits: Was erwartet man von Gästen einer Pension? Einen Kombi? Durchschnittlich 1,7 Kinder? Trotzdem hatte ich ein seltsames Gefühl im Magen. Und ich glaubte nicht, dass es vom Chili kam.

Mein Gefühl täuschte mich nicht. Im Gastraum begann man gerade damit, ein wenig umzudekorieren. Einer der Biker drehte sich zu mir um, als ich eintrat. „Besser Du verschwindest, Arschloch. Hier ist geschlossen.“ Das waren seine letzten Worte, bevor sein Kiefer brach. Die anderen wurden vorsichtiger. Mit Widerstand hatten sie wohl nicht gerechnet. Der Biker ganz links zog ein Messer. Blöde Idee. Ganz blöde Idee. Aber bevor ich ihn darauf hinweisen konnte, ging er auf mich los. Und rannte in meinen Fuß. Noch während er fiel, nahm ich mir den rechten Kerl vor. Seine Nase machte Bekanntschaft mit meiner Faust. Der Dritte schlug mir seine Faust gegen das Kinn. Es holte ein zweites Mal aus, aber ich war schneller. Ich blockte den Schlag, verdrehte ihm den Arm und ließ meinen Fuß gegen sein Kinn krachen. Blieb noch einer.

Als ich mich dem letzten Biker zuwandte, blickte ich plötzlich in den Lauf einer .38er. „Hättest gehen sollen, Arschloch!“, sagte er. Fünf Sekunden später lag er mit einem gebrochenen Arm auf dem Boden und sah in den Lauf seiner eigenen Waffe.

„Und jetzt will ich ein paar Antworten, Du Poser“, sagte ich. „Wer hat Euch geschickt?“ Die Antwort war ein Wort mit „F“ gefolgt von „Dich“. Eine äußerst unbefriedigende Antwort. Ich musste also mit etwas Nachdruck arbeiten. Ich verbog den gebrochenen Arm ein wenig. Nach dem der Kerl aufgehört hatte zu schreien, wiederholte ich meine Frage.

Die Gang war von einer zwielichtigen Immobilienfirma angeheuert worden. Der Biker erwähnte den Namen Jake Forrester. Ein Name, der mir nicht unbekannt war. Ich würde diesem Jake Forrester einen Besuch abstatten. Ihm ein Angebot unterbreiten, dass er nicht abschlagen kann.

***

Der Sheriff hatte die Biker abgeholt. Zeit, ein paar Dingen auf den Grund zu gehen. Forrester war kein unbeschriebenes Blatt. Er war ein Handlanger für alle möglichen mysteriösen Gruppen, die Unterwelt, zwielichtige Unternehmen. Er gab deren Unternehmungen den notwendigen legalen Anstrich, regelte Dinge, mit denen seine Auftraggeber nur ungern in Verbindung gebracht werden wollen. Es gab ein paar Ermittlungsverfahren gegen ihn, aber man konnte ihm nie etwas beweisen. Zeit, dies zu ändern.

Forresters Büro lag in Downtown L.A. Eine nette Blondine fragte mich, ob ich einen Termin hätte. Ich verneinte und ging weiter. Als ich die Tür zu Forrester Büro öffnete, brüllte dieser, er wolle nicht gestört werden. Dann sah er mich.

„Wer zur Hölle sind Sie?“, erkundigte er sich.

Ich antwortete knapp: „Kein Freund.“ Dann ließ ich kurz meinen Blick durch den Raum streifen. Zwei Bodybuilder standen links von seinem Schreibtisch. Sie sahen aus wie zwei schlechte Cartoonfiguren auf einem Heavy-Metal-Trip. Als meine Augen wieder auf Forrester ruhten, fügte ich hinzu: „Und ich habe keinen Termin.“

Jake Forrester warf den Muskelbergen einen Blick zu. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Nachmittag viel Spaß mit sich bringen würde. Beavis und Butthead kamen bedächtig auf mich zu. „Schicken Sie Ihre Jungs besser raus, Forrester“, gab ich zu bedenken. „Ich will ihnen nur ungern wehtun.“ Zu spät.

Viel Muskeln, wenig Hirn. Beavis packte mich am Kragen. Gleich darauf knirschten seine Finger. Ich rammte meine Faust in seine Magengrube und brach ihm mit der anderen Faust die Nase. Beavis ging zu Boden, aber sein Kumpel war nicht schlauer. Butthead holte aus, mein Fuß krachte gegen sein linkes Knie. Ich packte seinen Kopf und ließ ihn auf Forrester Schreibtisch knallen. Das war erledigt.

Ich sah, dass Forrester in das Schubfach seines Tisches griff. Was auch immer er wollte – ich hatte so eine Ahnung, was es sein könnte – ich war schneller und zauberte die Kanone hervor, die ich dem Biker abgenommen hatte.

„Lassen Sie die Hände da, wo ich sie sehen kann!“, warnte ich Forrester. Langsam zog er die leeren Hände aus der Schublade. Ich deutete mit der Pistole auf den Tisch. „Legen Sie Ihre Hände dorthin.“

Forrester war folgsam. „Was wollen Sie?“, fragte er.

„Ich überbringe nur eine Nachricht. Lassen Sie Louise Ashton in Ruhe.“

Jake Forrester war nicht besonders groß. Eins siebzig vielleicht. Seine untersetzte Gestalt verbarg er in einem schlecht sitzenden hellen Anzug. Die paar Haare, die er noch hatte, sahen aus, als hätte er einen Würfel Bratfett reingeschmiert. Seine Augen hatten Ähnlichkeit mit denen einer Ratte. Eigentlich sah der ganze Kerl aus wie eine Ratte. Nur nicht so niedlich.

Forrester Gesicht zeigte Verwirrung. „Wer ist das? Diese Louise Ashton, meine ich.“

„Ganz einfach“, sagte ich. „Sie ist eine Freundin von mir. Sie hat Ihr Angebot für ihre Pension in Blackstone abgelehnt. Ihr Partner liegt jetzt im Krankenhaus. Und die Typen, die Sie angeheuert haben, um in der Pension umzubauen auch.“ Ich beugte mich zu Forrester hinab und fixierte seinen Blick. „Lassen Sie Lou in Ruhe. Anderenfalls komme ich wieder.“

„Pension in Blackstone?“ Forrester zog nachdenklich die Stirn in Falten. „Ach ja“, flötete er nach einem Augenblick. „Meine Klienten benötigen das Grundstück. Es geht um ein äußerst wichtiges Geschäft.“

„Dann sagen Sie Ihren Klienten, was ich Ihnen gerade gesagt habe. Sagen Sie ihnen auch, dass sie meinen Besuch auf keinen Fall wünschen.“

„Hören Sie, Mr. … Verzeihung, ich habe Ihren Namen nicht verstanden.“

„Mein Name ist nicht wichtig. Ich bin der große Spielverderber. Das ist alles, was Sie und Ihre Klienten wissen müssen.“

„Also gut, Mr. Spielverderber“, begann Forrester erneut. „Mr. Marini wird nicht begeistert sein. Er will das Grundstück. Und er lässt sich nicht gerne drohen.“

Allmählich machte sich Ungeduld in mir breit. „Ich bitte um Verzeihung, wenn Sie meine Worte als Drohung aufgefasst haben, Mr. Forrester“, sagte ich nicht ohne Sarkasmus. „Ich wollte Ihnen natürlich nicht drohen.“ Ich richtete die Waffe auf Jake Forresters rechte Hand und drückte ab. „Ich wollte Sie nur über Tatsachen aufklären. Sie brauchen Ihren Klienten nichts zu sagen. Ich werde Marini selbst besuchen.“

Ich griff im Gehen noch nach einem Stapel Akten. Vielleicht würden sich diese Unterlagen als nützlich erweisen. Ich lächelte Forresters erschrockene Sekretärin an. „Suchen Sie sich einen neuen Job, meine Liebe.“

***

Die Akte, die ich bei Forrester hatte mitgehen lassen, erwiesen sich als Volltreffer. Es waren die Akten über Lous Pension.

Vincent Marini war genauso wenig unbekannt wie Jake Forrester. Nur dass Marini kein Handlanger war. Er hatte sich in den letzten 2 Jahren zur Nummer 1 der Unterwelt in der Gegend hochgearbeitet. Und jetzt wollte er das Grundstück, auf dem Louises und Nicks Pension stand, um eine Spielhölle hochzuziehen. Vermutlich um Gelder aus seinen anderen Geschäften zu waschen. Ich hatte nicht vor, ihn sein verdammtes Kasino bauen zu lassen. Und ich wollte mich um Forrester kümmern. Die Unterlagen, die ich hatte, würden wohl wieder keinen Richter überzeugen.

Forresters Akten enthielten mehr Informationen, als ich gehofft hatte. Ich fand Marinis Pläne für das Kasino, seine Adresse und seine Telefonnummer. Ich überlegte, ob ich mich ankündigen sollte. Ein Überraschungsbesuch erschien mir aber besser. Andererseits brachte mich die Telefonnummer auf eine Idee. Ich stieg wieder aus dem Wagen und ging zu dem Münztelefon an der Ecke und wählte Marinis Nummer.

„Ja?“, kam es aus dem Hörer.

„Geben Sie mir Vincent Marini“, sagte ich. Ich stellte meine Stimme etwas tiefer. Sicher ist sicher.

„Wer ist da?“

„Jemand mit interessanten Informationen für Mr. Marini. Nennen Sie mich Smith.“

Der Mann am anderen Ende war nicht leicht zu überzeugen. „Mr. Marini hat keine Zeit für so was, Mr. Smith.“ Er betonte das „Mr. Smith“ auf eine Art, die klar machte, dass er mir meinen Namen nicht glaubte.

„Ist nicht mein Problem“, informierte ich meinen Gesprächspartner. „Wenn Mr. Marini unangenehmen Besuch von der Polizei bekommt, beschweren Sie sich nicht.“

„Was meinen Sie?“ Diese Frage offenbarte nervöse Neugier.

„Jemand hat meinem Boss Informationen über Marini gegeben. Wollte wohl seinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Irgendwas mit einem Kasino.“

Der Mann am anderen Ende schwieg kurz. Die Sache mit dem Kasino schien ihn tatsächlich zum Nachdenken gebracht zu haben. Eine halbe Minute später fragte er: „Was für Informationen?“

„Sie sind nicht Mr. Marini. Ich rede nicht mit Lakaien. Geben Sie mir Vincent Marini.“

Nach einer knappen Minute Warteschleifenmusik meldete sich der Mann, mit dem ich sprechen wollte: „Mr. Smith?“

„Ja.“

„Ich nehme nicht an, dass Smith Ihr richtiger Name ist“, sagte Marini.

Manche Menschen sind ja so scharfsinnig. Natürlich war Smith nicht mein tatsächlicher Name. Aber ein Insider von der Staatsanwaltschaft wird einer Unterweltgröße am Telefon wohl kaum seinen wahren Namen verraten. Ich sagte Marini, dass ich Informationen hätte. Es wäre nur eine Frage des Preises.

„Sagen Sie mir, was Sie wissen“, kam es vom anderen Ende. „Dann reden wir über Geld.“

„Mein Boss hat einen Jake Forrester verhört“, informierte ich Marini. „Dieser Forrester saß wohl tief in der Scheiße und hat meinem Boss einen Deal vorgeschlagen. Informationen über ein geplantes Kasino in einem Kaff namens Blackstone. Ich habe auch Ihren Namen gehört.“

In der Leitung herrschte einen Augenblick lang Stille. „Rufen Sie morgen wieder an“, sagte Marini schließlich. „Wenn Ihre Information richtig war, unterhalten wir uns über Ihr Geld.“

***

Ich legte auf und machte mich auf den Weg zu Marinis Anwesen. Es war eine alte Villa am Stadtrand. Ich parkte den Wagen ein Stück vom Anwesen entfernt.

Es war abzusehen, dass ich nicht willkommen bin. Deshalb hatte ich mir sicherheitshalber Ersatzmunition besorgt. Gleich am Eingang bewies man mir, dass ich recht hatte. Ein Anzug mit einem Knopf im Ohr wollte mich aufhalten. Er wurde sogar richtig rüde, als ich mich nicht abwimmeln ließ. Er zog seine Waffen. Und er zog nicht nur als Drohung. Ich packte seinen Arm und entwaffnete ihn.

Aus einem Raum auf der rechten Seite kamen zwei Kerle mit Maschinenpistolen. Ich drehte mich und benutzte den Türsteher als Schutzschild. Die anderen schossen trotzdem und trafen ihn. Ich schoss zurück. Auch ich traf. Eine diplomatische Lösung war wohl auszuschließen.

Ich nahm die Treppe zum Obergeschoss. Marini musste eine Armee von Bodyguards in seiner Villa haben. Zwei weitere kamen mir entgegen. Ich war schneller als sie. Die Bodyguards fiel an mir vorbei die Treppe runter. Als ich oben ankam, wurde ich mit MP-Feuer empfangen. Ich konnte gerade noch in Deckung gehen. Die Schüsse verebbten und ich hörte leise Schritte. Nein, ich würde nicht warten, bis mich jemand erreichte. Ich hechtete aus der Deckung und schoss. In der Bewegung zu zielen ist nahezu unmöglich. Ich schoss das Magazin leer, traf zwei Gegner, rollte mich ab und zog meine eigene Waffe. Ich hatte Glück. Es war niemand übrig auf dem Flur.

Es gab 7 Türen auf der Etage. Wenn man die Qual der Wahl hat, kann man wild drauf losraten. Oder man geht in das Zimmer, vor dem die Wächter waren. Ich stieß die Tür auf und tat einen Schritt zur Seite. Wie erwartet wurde geschossen. Pistolen, 18 Schüsse. Das hieß 2 Schützen mit achtschüssigen Waffen, je eine neunte Kugel im Lauf. Ich stürmte ins Zimmer. Die Schützen standen genau, wo ich sie erwartete. Zwei Schüsse reichten, die Bodyguards gingen zu Boden. Ich wandte mich nach links. Vincent Marini war hinter seinem Tisch aufgesprungen und zielte mit meiner viel zu großen Wumme auf mich.

„Dachten Sie, Sie könnte mich einfach so erledigen?“, fragte er. „Für wen arbeiten Sie?“

Mafiosi sind so schön paranoid. Er dachte doch wirklich, die Konkurrenz hätte mich geschickt. Die Wahrheit würde ihn wohl aus dem Gleichgewicht bringen. „Ich will nur, dass Sie Freunde von mir in Ruhe lassen“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

Marini war wirklich verwirrt. Er dachte kurz nach und meinte dann, es wäre egal, wer mich schickt. Marini hob wieder seine Waffe aber der Moment der Ablenkung hatte mir gereicht. Ich schoss und der Mafiosi fiel. Auf jeden Fall würde ihn kein Richter freisprechen.

Ich legte die Unterlagen aus Forresters Büro auf Marinis Tisch und rief die Polizei. Dann war die Zeit reif, um zu verschwinden.

***

Es war Abend, als ich wieder im Krankenhaus ankam. Louise saß an Nicks Bett. Ihre Augen waren verweint, aber sie war gefasst.

„Die Sache ist geklärt“, sagte ich nur. Nick versuchte etwas zu sagen, aber schließlich nickte er nur dankbar. Louise fragte, was passiert war. Ich gab ihr die Kurzfassung. Die Nachrichtensprecherin im Fernsehen ergänzte meine Geschichte. Jake Forrester war tot in seinem Büro aufgefunden worden. Die Polizei nahm an, dass Killer der Unterwelt ihn hinrichteten.

Ich musste wieder los. Ich wollte ja eigentlich nur Lou besuchen. Hatte mir dafür einen Tag freigenommen. Ich winkte Nick zum Abschied. Louise kam noch mit vor die Tür.

„Danke, Al“, sagte sie.

„Wofür?“

„Für das, was Du für uns getan hast.“ Lou wirkte ein bisschen verlegen. Sie lächelte mich an. Das gleiche Lächeln, das ich immer so bezaubernd fand.

„Schon gut“, sagte ich. Ich nahm Lou in den Arm und sagte: „Passt auf Euch auf!“

„Klar, wir sehen uns“, meinte Lou so fröhlich, wie es ging. Ich blickte Lou in die Augen und sah etwas, das nie wirklich vorbei sein wird. Ich lächelte noch einmal, schüttelte den Kopf und ging. Lou lächelte noch immer, als ich mich zum Gehen wandte. Aber sie hatte mein Kopfschütteln bemerkt, wusste, dass dies ein Abschied war.

Es fiel mir nicht leicht. Ich würde sie nie wieder sehen. Louise Ashton war eine der besten Freundinnen, die ich je hatte. Wir kannten uns seit der Schule. Aber es war besser so. Ich gab sie frei. Vergessen werde ich sie nie.